Narzisstischer Missbrauch – deine Grenzen kennst du nicht

Wenn du in einem narzisstischen Familiensystem aufgewachsen bist, kennst du deine Grenzen nicht. Du weißt nicht, was das ist und wie sich deine Grenzen anfühlen. Theoretisch weißt du, dass es Grenzen geben sollte und Menschen diese respektieren müssten, aber das ist auch schon alles.

Du wurdest erzogen keine Grenzen zu haben.

Es ist ein wenig so, als hätte man dich ohne Ausrüstung in den Dschungel oder nackt in die Wüste geschickt. Grenzen, die du zum Überleben so dringend brauchst, wurden dir von deinen wichtigsten Bezugspersonen geraubt, indem du für ihre Zwecke benutzt wurdest.

Du warst Elternteil für deine Eltern oder Geschwister, Partnerersatz, Seelentrösterin, intime Vertraute, Sündenbock oder Gefühlsreguliererin für emotional unreife Menschen. Diese Rollen hattest du zu erfüllen.

Eines durftest du auf keinen Fall: Du selbst sein und für dich selbst existieren.

Du hattest kein Recht oder nur sehr eingeschränkt eigene Bedürfnisse, Interessen, Wünsche, Träume und authentische Ziele zu haben. Hättest du es versucht, wäre das nahezu „unter Todesstrafe“ gestellt worden. Du wärst beschämt, abgewertet, ignoriert, bedroht, verlassen oder dir wäre Gewalt angetan worden. Du hast daher verständlicherweise zur eigenen Sicherheit gelernt deine Grenzen aufzulösen und dich den Wünschen der Menschen, die dir deine Grenzen raubten, zu unterwerfen.

Wie solltest du also wissen, was Grenzen sind und wie man sie behauptet?

Meine Hündin ist extrem gutmütig, was ihre Grenzen anbetrifft. Wenn ein Welpe sie übel nervt dauert es sehr lange bis sie erst einmal bellt und wenn das nicht wirkt auch noch kräftig knurrt. Bei Rüden ist sie etwas schneller und direkter. Jedenfalls wurde sie trotz Gutmütigkeit ausgestattet ihre Grenzen angemessen zu behaupten.

Im Tierreich ist das Grenzen setzen selbstverständlich.

Wenn du in der Kindheit narzisstischen Missbrauch erfahren hast, spürst du nicht, wenn jemand über dich hinwegtrampelt bzw. nur zeitversetzt. Du hast auch keine wirklich verlässlichen Bezugspunkte, um zu wissen, was „normal“ und „akzeptabel“ ist und was nicht. Was du in der Kindheit erlebt hast war absolut inakzeptabel, aber für dich eben „normal“.

Wenn du spürst, dass deine Grenzen verletzt werden, weißt du außerdem nicht, wie du dich zur Wehr setzen kannst oder hast große Angst davor. Du konntest das nicht üben, wenn es deiner Entwicklung entsprechend normal gewesen wäre und du fühlst dich auch nicht wirklich dazu berechtigt.

Wenn du allmählich lernst Grenzen zu setzen wird sich dein Umfeld nachhaltig verändern. Du fängst an mehr und mehr du selbst zu sein und dadurch fallen all die Menschen weg, denen du gefallen wolltest und die dadurch etwas von dir „bekommen“ haben. Diese Menschen waren nie wirklich an deinem authentischen Selbst interessiert. Diese Entwicklung kann sich ziemlich bedrohlich anfühlen. Wenn du mutig weitergehst, bekommst du als Geschenk den größten Schatz, den es überhaupt geben kann: dich selbst.

Nichts gibt dir mehr Sicherheit im Leben und nichts fühlt sich besser an als du selbst zu sein – mit verlässlichen Grenzen.

Der Weg Grenzen zu entwickeln beinhaltet:

  • Verstehen, dass du keinen Schimmer hast was Grenzen sind
  • Extrem vorsichtig und achtsam sein in zwischenmenschlichen Beziehungen (über nichts hinweggehen)
  • Ruhig mal übers Ziel hinausschießen, wenn du Grenzen setzt (für dich ist diese Übung enorm wichtig und du befindest dich in einem Lernprozess)
  • Das Grenzen entwickeln als Prozess der Gesamttransformation deiner Persönlichkeit verstehen
  • Lernen du selbst zu sein
  • Wissen, dass sich Menschen, die deine Grenzen respektieren komisch / ungewohnt anfühlen
  • Vorsicht vor „Vertrautem“. Deine Psyche und dein Organismus fühlen sich davon angezogen, auch wenn es dir schadet

Hinweis: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders / DSM) existiert als klinische Diagnose, wird aber selten genutzt. Narzissten tauchen im therapeutischen / klinischen Kontext kaum auf, weil sie sich selbst nicht als problematisch betrachten. Es handelt sich hier ausdrücklich nicht um die psychiatrische Diagnose bzw. Persönlichkeitsstörung, sondern um Narzissmus als Persönlichkeitsstil.

Veröffentlicht in:

Narzissmus

Über die Autorin

Julia Krawitz

Als Psychologin (Master of Science) unterstütze ich dich toxische Beziehungen in deinem Leben zu erkennen, mit toxischen Beziehungen umzugehen und dich vor weiteren toxischen Beziehungen zu schützen.

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