Wenn sich Frauen um Jahrzehnte ihres Lebens beraubt fühlen

Unzählige Frauen empfinden, dass ihnen eine toxische Ehe Jahrzehnte ihres Lebens geraubt hat. Diese Frauen erwachen eines Tages wie aus einem Albtraum. Manchmal erst nachdem die Ehe beendet ist. In der Ehe sind sie wie im Nebel gewandelt, haben funktioniert, haben „den Laden“ am Laufen gehalten und sich keine Fragen gestellt.

Verlorene Jahre im Überlebenskampf, vollkommen abgetrennt von sich selbst. Das dumpfe ungute Gefühl irgendwohin weggeschoben. Abgestumpft, weil die rasende Wut und tiefe Verachtung durch den narzisstischen Partner[1] zur Gewohnheit wurden.

Diese Frauen wussten nicht, dass ihnen emotionaler Missbrauch widerfährt. Sie wussten nicht, dass sie über Jahrzehnte psychischer Gewalt ausgesetzt waren. Die Ursache für die eisige emotionale Kälte und die kaum auszuhaltenden Dauerkonflikte suchten sie – neben all dem Stress – bei sich selbst.

Diese Frauen sind nicht schwach. Im Gegenteil: Sie sind viel zu stark. So stark, dass sie glauben alles tragen zu können, alles auszuhalten und alles im Griff zu haben. So stark, dass sie sich verantwortlich fühlen. So stark, dass sie ihre Kinder, trotz Fehlen jeglicher emotionaler Unterstützung, durch Dick und Dünn tragen und für sie alles ertragen.

Diese Frauen wurden durch Ursprungsfamilie und Gesellschaft zu Selbstverlust, Verzicht auf Selbstbestimmung und ein Minimum an Zuneigung erzogen. Es wurde ihnen schon in der Kindheit so viel Verantwortung übertragen, dass sie fast daran zerbrochen sind. Weil sie halbwegs intakt daraus hervorgegangen sind, haben sie das Gefühl unzerstörbar zu sein.

Für ihre Kinder wollten sie ein anderes Leben.

Diese Frauen fühlen sich nach einem halben Leben in toxischer Kindheit und Ehe verraten, weil sie an Liebe als Möglichkeit geglaubt haben, weil sie eine vernünftige Ehe führen wollten, die trägt. Weil sie all das versucht haben, was die Gesellschaft für ein gelungenes Leben vorgibt. Weil sie damit gescheitert sind.

Wenn die toxische Ehe endet, ist oft mehr als das halbe Leben gelebt. Das erste Mal können diese Frauen frei atmen und selbstbestimmte Schritte gehen. Ein völlig neues Leben, das auf sie wartet und sie auffordert endlich für sich selbst stark zu sein.

Ein Leben im Wissen um das ungelebte Leben, das hinter ihnen liegt.

Hinweis: Auch Männer leiden enorm unter narzisstischen Partnerinnen oder Partnern. Das Gefühl der verlorenen Jahr ist in meinen Augen aber ein weibliches Phänomen. Denn Frauen in toxischen Beziehungen sind häufiger finanziell abhängig von ihrem Partner, sind häufig in der klassischen Rollenverteilung gefangen, dadurch oft auch noch sozial isoliert und können sich weniger Freiheit und Selbstbestimmung über ihre Arbeit schaffen als Männer.


[1] Die Bezeichnung Narzisst / Narzisstin ist in Fachkreisen zum Teil umstritten. Es handelt sich hier ausdrücklich nicht um eine psychiatrische Diagnose bzw. eine Persönlichkeitsstörung. Was hier als Narzissmus bezeichnet wird ist ein Persönlichkeitsstil, der in Beziehungen großen Schaden anrichtet. Narzisstische Menschen zeichnen sich aus durch: Mangel an Empathie, Gefühl von Grandiosität, Berechtigungsdenken, Egozentrik, Unaufrichtigkeit und manipulatives Verhalten.

Veröffentlicht in:

Feminismus, Narzissmus

Über die Autorin

Julia Krawitz

Als Psychologin (Master of Science) unterstütze ich dich toxische Beziehungen in deinem Leben zu erkennen, mit toxischen Beziehungen umzugehen und dich vor weiteren toxischen Beziehungen zu schützen.

In toxischen Beziehungen wandelst du wie im Nebel. Ich unterstütze dich bei der Nebelklärung.

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