Die tödliche Speakerin

Es gibt Frauen, die nicht ins Rampenlicht wollen. Das ist in Ordnung. Solange diese Frauen das Rampenlicht nicht aus den falschen Gründen vermeiden. Etwa, weil sie glauben nichts zu sagen zu haben oder denken nicht wichtig, intelligent oder schön genug zu sein. Das alles sind die falschen Gründe nicht ins Rampenlicht zu treten. Ich befürchte, dass dies fast immer im Hintergrund steht, wenn eine Frau nicht ins Rampenlicht möchte. Man hat ihr ihre Sehnsucht nach der Bühne schon früh ausgetrieben.

Es ist natürlich, gesehen und gehört werden zu wollen.

Viele Frauen wurden in ihrer Kindheit als Objekte ausgestellt. Das kann eine so unangenehme Erfahrung gewesen sein, dass diese Frauen das Rampenlicht ein Leben lang mit dem beschämenden Gefühl verbinden und vermeiden wie die Pest.

Fast alle junge Mädchen träumen irgendwann davon, später einmal Schauspielerin zu werden. Vielleicht ist das bei Mädchen so ausgeprägt, weil sie schon in ihrer Kindheit erfahren, nicht wirklich gehört und gesehen zu werden und selten für das im Mittelpunkt stehen, was sie sind.

Die Sehnsucht im Mittelpunkt zu stehen verdrängen wir Frauen.

Jede Frau hat das Recht selbstverständlich im Rampenlicht zu stehen, d.h. im Zentrum des Geschehen zu sein und zu sagen, was sie zu sagen hat. Das Rampenlicht kann dabei sowohl konkret als auch metaphorisch verstanden werden. Jede Frau sollte mindestens für sich selbst und in ihrem Leben die wichtigste Rolle einnehmen.

Die meisten Frauen entschuldigen sich, wenn sie im Rampenlicht stehen. Sie glauben kein Anrecht zu haben, so viel Raum und Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch wenn es unzählige Männer gibt, die nicht besonders gekonnt im Rampenlicht agieren, d.h. als Speaker wenig befähigt sind, glauben sie doch selten, sich allein dafür entschuldigen zu müssen, dass sie zu einem Publikum sprechen. Sie betrachten es als Selbstverständlichkeit, selbst wenn sie andere Menschen langweilen oder aus anderen Gründen eine Zumutung auf der Bühne darstellen. Nicht so wir Frauen. Wir entschuldigen uns selbst dann, wenn wir eine Bereicherung auf der Bühne sind.

Dann gibt es Frauen, die sich im Rampenlicht in ein Format flüchten. Das sind Frauen, die zwar für sich entschieden haben, im Rampenlicht stehen zu wollen, sie glauben aber dabei etwas „darstellen“ zu müssen. Diese Frauen haben sich ein Bild von sich erschaffen, dem sie auf der Bühne gerecht werden wollen. In Anlehnung an Peter Brook und seiner Konzeption vom tödlichen Theater würde ich diese Frau auf der Bühne als die „tödliche Speakerin“ bezeichnen. Tödlich, weil es nicht unbedingt auffällt, dass sich diese Frau ihren lebendigen Ausdruck verwehrt und oftmals bis zur Perfektion bemüht ist, einem formatierten Bild gerecht zu werden. Tödlich, weil das Publikum diesen Frauen applaudiert, obwohl das Wesentlichste fehlt – die Frau selbst.

Der Auftritt einer tödlichen Speakerin glänzt auf eine bestimmte Art, aber bleibt nur glitzernde Verpackung. Wir alle sind so sehr an formatierte Frauen gewöhnt, weil die Gesellschaft genau das von uns Frauen erwartet, dass uns eine tödliche Speakerin nur auffällt, wenn wir wissen, worauf es zu achten gilt. Tödlich ist diese Form der Selbstdarstellung auch deshalb, weil sie sich als leblose Maske auf die Seele der Frau setzt und gerne verfestigt. Sie ist nur schwer wieder loszubekommen.

Die tödliche Speakerin lauert in jeder Frau, um ihr ihre Lebendigkeit auszutreiben, daher braucht es Achtsamkeit, um sie nicht das Ruder übernehmen zu lassen.

Manche Frauen gehen mit dieser Maske durch ihr Leben.

Die tödliche Speakerin fällt am ehesten im Kontrast zur lebendigen und authentischen Speakerin auf. Denn nichts ist erfrischender und mitreißender als Letztere. Die lebendige Speakerin ist selten, weil Frauen ihre Lebendigkeit abgewöhnt wird und weil nur wenige Frauen wagen im Rampenlicht sie selbst zu sein. Eine solche Frau kann uns zutiefst berühren, wenn sie auch noch ihr Thema gefunden hat, d.h. das, was sie bewegt und antreibt und über das sie der Welt berichten will. Der Auftritt einer solchen Frau ist nicht perfekt, aber lebendig. Solche Frauen wirken transformierend.

Unsere Welt braucht die lebendige Speakerin dringend gegenüber all der Formatierung und leeren Verpackung.

Veröffentlicht in:

Feminismus, Speakerin

Über die Autorin

Julia Krawitz

Als Psychologin (Master of Science) unterstütze ich dich toxische Beziehungen in deinem Leben zu erkennen, mit toxischen Beziehungen umzugehen und dich vor weiteren toxischen Beziehungen zu schützen.

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