Angst vor der Angst

Keiner von uns möchte gerne Angst haben. Angst ist ein extrem unangenehmes und lähmendes Gefühl. Ich glaube, dass in jeder Angst letztendlich die Angst vor dem eigenen Tod und ein großes Misstrauen dem Leben gegenüber steckt. Natürlich gibt es sehr sinnvolle Ängste, die uns vor Gefahren schützen sollen.

Irrationale und übersteigerte Ängste beeinträchtigen aber unser Lebensgefühl und unsere Lebensfreude.

Ich hatte früher mit vielen Ängsten zu tun. In Stresssituationen bzw. Krisenzeiten haben sich diese geradezu potenziert, sodass ich phasenweise sogar Panik bekam, wenn ich einen offenen Platz überqueren musste. Aufzüge, Menschenmengen, bestimmte soziale Situationen, in denen ich dachte eine bestimmte Rolle erfüllen zu müssen, kamen hinzu. Meine schlimmste Angst war jedoch immer die vor dem Autofahren. Autobahnen waren für mich der reinste Horror. Kombiniert mit einem Tunnel die pure Hölle. Immer nur, wenn ich selbst am Steuer saß.

Inzwischen lebe ich nahezu angstfrei. All meine ehemaligen Ängste gibt es fast nur noch in der Erinnerung. Vor einiger Zeit hatte ich jedoch aus heiterem Himmel einen Rückfall. Bei einem Überholmanöver auf der Autobahn überfiel mich wieder extreme Angst. Sofort setzte die altbekannte Überforderung ein und daraufhin meine wenig sinnvolle Strategie, auf dem Rückweg nicht mehr die Autobahn, sondern einen umständlichen und unangenehmen Umweg zu fahren. Ich war am Boden zerstört, hatte ich doch gedacht endlich von diesem lähmenden Gefühl befreit zu sein.

Meine Angst war wieder da. Außerdem die Erkenntnis, dass sie jederzeit ohne Vorankündigung zurückkommen konnte. Ich verstand nicht warum und steckte mal wieder in der Angst vor der Angst.

Das Problem war nicht der Umweg, den ich auf mich nahm, um meiner Angst zu entkommen, sondern meine innere Kapitulation. Lässt man diese zu, hat das langfristig verheerende Auswirkungen auf Selbstwert und Lebensgefühl.

Dieses Mal wollte ich mich nicht kleinkriegen lassen. Zu sehr hatte ich das angstfreie Autofahren und das damit verbundene Freiheitsgefühl genossen. Ich wollte wissen, warum meine Angst so unerwartet zupacken konnte. Ich wollte endlich reinen Tisch machen mit ihr.

Je mehr man gegen die Angst ankämpft, umso stärker und unberechenbarer wird sie.

Gegen Angst anzukämpfen macht alles nur noch schlimmer. Das wusste ich bereits aus der Vergangenheit. Ich wusste auch, dass es allein meine Gedanken waren, die Angst und Panik auslösten. Ich wusste nicht, wie ich meine Angst zuvor losgeworden war. Sie war einfach gegangen, so wie sie gekommen war. Von ganz alleine. Ebenso wenig verstand ich, warum sie jetzt plötzlich wiederauftauchte.

In jeder Angst steckt ein ungeahntes Entwicklungspotential.

Man liest häufig, dass dort wo unsere größte Angst liegt, auch das größte Potential für unsere Entwicklung verborgen ist. Ein interessanter Aspekt fand ich. Denn, wenn man davon ausgeht, dass auch jede noch so irrationale Angst uns eigentlich etwas Wichtiges über uns mitteilen will, dann ist Angst nicht mehr Feind, sondern Freund. Was für eine bedeutende Gedankenumkehr.

Wir können vor der Angst weglaufen. Sie holt uns aber ein.

Meiner Angst zu entkommen ist aussichtslos, das wusste ich. Ich müsste wieder jeden Autobahnabschnitt umfahren. Das würde aber bedeuten, dass mich meine Angst an anderer Stelle einholen konnte. Angst ist hartnäckig. Schließlich möchte sie uns etwas sagen. Wenn wir nicht zuhören, versucht sie es auf anderem Weg. Je mehr wir uns ihr verschließen, umso mehr beschränken wir unser Leben. Die Lebensfreude vieler Menschen ist deshalb oft so eingeschränkt.

Hinter jeder Angst steckt ein Thema.

Ich verstand auf einmal, dass es bei meiner Angst nicht eigentlich ums Autobahnfahren ging, sondern um ein Lebensthema, das dadurch symbolisiert wurde. Mir wurde klar, dass es bei Angst darum ging die mit dem Thema verbundene Fähigkeit zu entwickeln. Meine Angst vor dem Autofahren würde sich dann von alleine lösen. Ich möchte nicht viel tiefer in meine persönliche Geschichte eintauchen. Nur so viel: Autofahren hat mit Autonomie und Freiheit zu tun. Beim Fahren braucht es einerseits die Fähigkeit von Kontrolle und anderseits das Vertrauen loslassen und sich dem Verkehr und der Geschwindigkeit überlassen zu können.

Mit Angst kann man sich unterhalten.

Da nichts aussichtsloser ist, als Angst zu bekämpfen, ist auch nichts wirksamer, um sie zu entschärfen als sie zu befragen. So seltsam sich das anhören mag: Man kann sich mit seiner Angst unterhalten. Man kann sie fragen, was sie von einem möchte, worum es eigentlich geht und was es hier zu lernen gilt. Antworten findet man, wenn man gut zuhört und ehrlich genug mit sich ist. Stellt man sich dann noch der Herausforderung und macht sich an die Entwicklung des Themas hinter der Angst, wird man beschenkt.

Denn nichts ist beglückender als eine neue Kompetenz und die damit verbundene Auflösung von Angst.

Veröffentlicht in:

Psychologie

Über die Autorin

Julia Krawitz

Als Psychologin (Master of Science) unterstütze ich dich toxische Beziehungen in deinem Leben zu erkennen, mit toxischen Beziehungen umzugehen und dich vor weiteren toxischen Beziehungen zu schützen.

In toxischen Beziehungen wandelst du wie im Nebel. Ich unterstütze dich bei der Nebelklärung.

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