Es gibt unzählige Red Flags für Narzissmus – aber eigentlich nur eine, die du wirklich brauchst: Kognitive Dissonanz.
Leider gehen wir genau über diese Red Flag so häufig hinweg. Ganz besonders dann, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale in uns stark ausgeprägt sind.
Was ist kognitive Dissonanz?
Kognitive Dissonanz ist das unangenehme Gefühl, das entsteht, wenn du auf einen Widerspruch stößt. Dein Gehirn mag diesen Zustand gar nicht. Es will Harmonie, keine Spannung. Deshalb versuchen wir, das Unstimmige oft zu übergehen oder zu rechtfertigen.
Ein Beispiel aus dem Alltag
Viele kennen das: Menschen, die das Gute repräsentieren wollen. Die vorgeben, für Menschlichkeit, soziales Engagement oder Werte zu stehen – und gleichzeitig enormen Druck ausüben und eiskalt vorgehen, sobald es um ihre eigenen Interessen geht.
Ich hatte kürzlich so eine Situation – und konnte mich rechtzeitig schützen. Im Rückblick gab es aber schon deutlich früher dieses eine Warnsignal in mir. Dieser Widerspruch zwischen dem, was jemand repräsentieren möchte, und dem, was er tatsächlich sagt oder tut, und in mir dieses feine Spüren: „Da stimmt etwas nicht.“
Genau diese innere Spannung ist es, die uns vor Schaden bewahren will. Wenn du dieses Gefühl hast: „Hä? Komisch, das würde ich niemals tun.“ – nimm es ernst. Es ist deine Intuition, die dich schützen will. Hinterfrage es nicht – und suche den Fehler nicht bei dir.
Warum wir kognitive Dissonanz so leicht übergehen
Die amerikanische Expertin für Beziehungstrauma Sandra Brown hat etwas Spannendes entdeckt: Menschen mit hoher Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit – also Menschen, die loyal, empathisch und verantwortungsvoll sind – sind besonders anfällig für narzisstische oder psychopathische Partner oder andere Beziehungen mit solchen Persönlichkeiten.
Und genau das erklärt, warum ausgerechnet diese Menschen die Red Flag kognitive Dissonanz oft übergehen, obwohl sie sie wahrnehmen: Ihre Persönlichkeit steht ihnen im Weg.
Zu viel des Guten?
Vielleicht erkennst du dich wieder? Du bist von ein paar Dingen „zu viel“: zu empathisch, zu fürsorglich, zu tolerant und zu selbstreflektiert.
Im Big-Five-Persönlichkeitsmodell würdest du wahrscheinlich sehr verträglich und kooperativ abschneiden – das Gegenteil von pathologischen Menschen, wie Narzissten, die antagonistisch sind. Beide Merkmale, die du aufweist, sind stark beziehungsorientiert. Das ist wunderbar – mit gesunden Menschen.
Menschen mit diesen Eigenschaften sorgen sich sehr um ihre Beziehungen. Sie sind warm, liebenswert, freundlich und tolerant. Das ist kein „People-Pleasing“, sondern Teil ihrer Persönlichkeit. So sind sie auf die Welt gekommen.
Sie vertrauen. Sie sind aufrichtig. Sie haben eine fürsorgliche Natur, sind kooperativ, bescheiden, empathisch, tolerant, freundlich, mitfühlend, unterstützend – und folgen moralischen Prinzipien.
Doch genau diese wunderbaren Eigenschaften können zum Problem werden, wenn dir deine kognitive Dissonanz etwas Wichtiges mitteilt: Vorsicht, mit diesem Menschen stimmt etwas nicht. Denn dann steht dir deine Persönlichkeit, die stets an das Gute im Menschen glaubt, leicht vertraut und grundsätzlich lieber sich selbst als andere hinterfragt deiner eigenen Wahrnehmung im Weg.
Selbstkenntnis statt Selbstveränderung
Darum gilt: Du musst dich gut kennen. Nicht verändern – sondern deine warmherzige und liebenswerte Persönlichkeit zu deinem eigenen Schutz in Schach halten.
Du kannst deine Persönlichkeit genauso wenig verändern, wie ein Psychopath plötzlich empathisch und gewissenhaft werden kann. Wenn du das versuchst, wirst du unglücklich. Und das musst du auch gar nicht. Denn mit gesunden Menschen sind deine Eigenschaften wunderbar. Was du brauchst, ist eine Art innerer Aufpasser – ein verlässlicher innerer Teil, der dich liebevoll in Schranken hält, wenn du wieder einmal ungeprüft dein Vertrauen verschenken möchtest oder großzügig jedem Menschen deine Aufmerksamkeit und Fürsorge gibst.
Und du solltest unbedingt lernen, der inneren Stimme zu vertrauen, die flüstert: „Da stimmt etwas nicht.“
Denn kognitive Dissonanz ist dein Frühwarnsystem.
Die einzige Red Flag, die du wirklich brauchst.
Foto von Brett Jordan auf Unsplash




