Erst wenn ein Mensch es genießt, er selbst zu sein, und den Mut gefunden hat, die starre Maske abzulegen, die ihn davor schützen soll, beschämt zu werden, kann echte Lebendigkeit entstehen.
Toxische Scham verhindert Lebendigkeit und macht krank. Sie vernichtet das Selbstwertgefühl durch ein übermächtiges Gefühl verabscheuenswürdig, hässlich, dumm oder hoffnungslos falsch zu sein (vgl. Walker, 2019). Toxische Scham führt dazu, dass sich gutaussehende und intelligente Menschen hässlich und dumm fühlen.
Toxische Scham ist Teil emotionaler Flashbacks in eine traumatisierende Kindheit durch missbrauchende oder vernachlässigende Eltern. Wer sich extrem wertlos und verabscheuenswert fühlt, steckt voraussichtlich in einem solchen Flashback.
Toxische Scham hat nichts mit gesunder Scham zu tun. Letztere zeigt uns, wenn wir einen Fehler gemacht haben, den wir dann korrigieren oder wiedergutmachen können. Toxische Scham bezieht sich auf das gesamte Wesen eines Menschen. Wir glauben dann nicht nur, etwas falsch gemacht zu haben, sondern dass wir grundsätzlich falsch und fehlerhaft sind.
Toxische Scham führt dazu, dass Menschen extrem an sich zweifeln, sich stark anpassen bzw. verbiegen, ihre Bedürfnisse verleugnen, sich in ihrem Selbstausdruck extrem zurücknehmen und kontrollieren und in ihrer Kreativität blockiert sind. Eine typische Maske der toxischen Scham ist Perfektionismus. Kinder, die in ihren Familien für ihre Authentizität beschämt und gedemütigt wurden, versuchen, die Liebe ihrer Eltern durch Perfektionismus zu erringen. Später kann sich das in Workoholismus und einem extrem strengen inneren Kritiker zeigen. Toxische Scham verhindert, dass ein Mensch sich selbst liebevoll akzeptiert und anerkennt, dass er menschlich und somit begrenzt ist.
Toxische Scham kann auch zu einem sogenannten „Hochstapler-Syndrom“ führen. Menschen mit einem „Hochstapler-Syndrom“ sind zwar erfolgreich, können diesen Erfolg jedoch nicht wirklich spüren. Sie glauben, nur so zu tun, als seien sie kompetent, und befürchten, dass andere dies durchschauen werden.
Der Weg aus toxischer Scham heraus erfordert den Mut, die Maske der Perfektion und des falschen Selbst abzulegen und zu erkennen, dass man authentisch wertvoll und liebenswert ist. In toxischen Beziehungen ist das nahezu unmöglich, da narzisstische Partner die eigene Scham auf andere Menschen projizieren und diese für ihre natürliche Lebendigkeit oder ihren authentischen Selbstausdruck konsequent beschämen oder demütigen. Sie verweigern sich, mit dem authentischen Wesenskern ihres Partners in Resonanz zu gehen. Stattdessen lassen sie ihn regelmäßig auflaufen und stützen sein falsches Selbst. Bestärkend sind hingegen Beziehungen mit Menschen, die selbst wenig Maske tragen und mit dem authentischen Wesenskern des anderen in Resonanz gehen können.
Der kreative und künstlerische Selbstausdruck kann ein äußerst heilsames Instrument sein, um sich nach und nach die eigene Lebendigkeit, Menschlichkeit und Spielfreude zurückzuerobern. Beim künstlerischen Ausdruck gibt es kein richtig oder falsch, und Individualität ist nicht nur erwünscht, sondern Grundvoraussetzung.
Foto von Tabitha Turner auf Unsplash.




