Emotionale Vernachlässigung – seelischer Tod in der Kindheit

Emotionale Vernachlässigung in der Kindheit ist vermutlich eine der folgenreichsten Formen des Missbrauchs in der Kindheit. Sie kann im Erwachsenenalter zu einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung führen. Den betroffenen Menschen ist meist weder der schwere Missbrauch durch die elterliche Vernachlässigung noch die damit verbundenen emotionalen Flashbacks bewusst, die sich in Form von innerer Leere, bodenloser Verlassenheit, Panik und toxischer Scham äußern.

In der Kindheit emotional vernachlässigte Menschen leben in einem emotionalen Gefängnis und wissen meist weder, dass sie Gefangene ihrer unerträglichen Gefühlszustände sind, noch wie sie in dieses Gefängnis geraten sind.

Da sich emotionale Vernachlässigung schwer einordnen lässt, leugnen oder minimieren Überlebende sie manchmal ein Leben lang. An die Abwesenheit von etwas kann man sich nicht erinnern, an die Anwesenheit von Schlägen oder Gebrüll jedoch schon. Kinder, die keinen einzigen Erwachsenen an ihrer Seite haben, der ihnen Zuwendung, Interesse, Unterstützung, Trost oder Schutz gibt, fallen in eine innere Leere und Verlassenheit, die einem seelischen Tod gleichkommt. Diese Kinder fühlen sich zutiefst wertlos, nicht liebenswert und tragen einen nagenden Hunger nach menschlicher Wärme und Trost in sich. Um diese innere Leere zu füllen, entwickeln sie im Verlauf ihres Lebens häufig Suchterkrankungen.

Um ohne Zuwendung und ohne Schutz durch Erwachsene zu überleben, entwickeln diese Kinder eine übersteigerte Wachsamkeit für mögliche Gefahren, um immer auf das Schlimmste gefasst zu sein. So entsteht eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, bei der das Nervensystem nie zur Ruhe kommt und durch harmlose Dinge getriggert werden kann. Hinzu kommt toxische Scham. Mit der Zeit werden alle Menschen als gefährlich eingestuft, was zu sozialer Angst und innerer Isolation führt.

Um die Folgen emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit zu bewältigen, muss der Betroffene ein Leben lang den Prozess der De-Minimalisierung seines Missbrauchs vorantreiben. Dabei muss er Schicht für Schicht erkennen, wie sehr er durch das Fehlen eines liebevollen Erwachsenen geschädigt wurde. Gleichzeitig müssen Überlebende lernen, ihrer inneren Leere und Depression nicht mehr zu entfliehen, und ihre Traumareaktionen (Flucht, Kampf, Erstarrung und Beschwichtigung) abbauen. Je mitfühlender der Erwachsene mit dem vernachlässigten Kind wird, das er einmal war, und je besser es ihm gelingt, die innere Leere konstruktiv zu bewältigen, desto besser kann Heilung voranschreiten.

Literatur: Emotional Neglect and Complex PTSD by Pete Walker

Veröffentlicht in:

Trauma

Über die Autorin

Julia Krawitz

Als Psychologin (Master of Science) unterstütze ich dich toxische Beziehungen in deinem Leben zu erkennen, mit toxischen Beziehungen umzugehen und dich vor weiteren toxischen Beziehungen zu schützen.

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