Immer wieder stößt man auf interessante Wortschöpfungen, Kategorien und Störungszuschreibungen für Überlebende toxischer Beziehungen. Diese stammen aus psychologischen oder psychiatrischen Fachkreisen, häufig aber auch „populärwissenschaftlich“ aus den Zirkeln der Influencer, die zum Thema Narzissmus aufklären. Dort hört man dann beispielsweise schillernde Begriffe wie „Co-Narzisst“ oder „Empath“.
Natürlich kann man bei Überlebenden toxischer Beziehungen nach Besonderheiten suchen – es gibt tatsächlich Menschen, die für Narzissten recht attraktiv sind – gefährlich wird es, wenn man diesen Menschen eine Störung zuschreibt. Gefährlich wird es auch, wenn eine Gesellschaft nicht anerkennt, dass niemand vor Missbrauch gefeit ist, und die Schuld krampfhaft bei den Opfern sucht, um den Glauben an die Beherrschbarkeit solcher Schicksalsschläge aufrechtzuerhalten.
Es sind die menschlichsten und positivsten Eigenschaften wie Empathie, Loyalität und Optimismus, die Menschen „anfällig“ machen, in einer toxischen Beziehung stecken zu bleiben. Sind diese Menschen deshalb gestört? Ganz im Gegenteil! Wie schön wäre diese Welt, wenn wir mehr von diesen Menschen hätten und sie sich nicht als „fasch“ fühlen würden.
Das Gaslighting und die Schuldumkehr, die Überlebende in der toxischen Beziehung erfahren, setzen sich auf gesellschaftlicher Ebene und nicht selten in der Psychotherapie fort. Selbst in der Psychotherapie wird das Erlebte relativiert oder gänzlich in Frage gestellt. Menschen, die zum Teil über Jahrzehnte in ihrer Wahrnehmung zutiefst verunsichert und destabilisiert wurden, wird in der Psychotherapie wieder eine „fremde Realität“ übergestülpt. Sie erfahren erneut Gaslighting, weil ihnen gesagt wird, dass es doch ganz anders gewesen sein muss und dass mit ihnen etwas „nicht stimme“.
Bei Freud wurden Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, als hysterisch kategorisiert. Heute sind die Überlebenden toxischer Beziehungen dependent, bedürftig oder co-abhängig. So können sich die Täter in Sicherheit wiegen. Denn die meisten Menschen wollen nicht sehen, dass sie mitten unter uns leben und dass Missbrauch nicht nur „arme Opfer“ betrifft, sondern jeden treffen kann.
Hilfestellung für Überlebende
- Auch ein Psychotherapeut kennt deine Realität nicht. Er kann dich unterstützen sie zu finden, er kann aber auch genau das Gegenteil tun.
- Ein Psychotherapeut ist nicht dafür da dich zu „korrigieren“ oder zurechtzubiegen.
- Die Zuschreibung von Störungen ist nicht selten eine perfide Form des Gaslighting.
- Psychotherapie wirkt nicht durch Diagnosen, sondern durch eine wertschätzende, respektvolle und stärkende Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient.
- In einer Psychotherapie sollte kein Machtungleichgewicht hergestellt werden.
- Für Überlebende von Narzissmus ist es besonders wichtig, dass die Psychotherapie die eigene Wahrnehmung stärkt. Ein Psychotherapeut sollte niemals so auftreten, als ob er die Wahrheit über das Leben eines anderen Menschen hätte.
- Wenn dich ein Psychotherapeut beschämt oder verwirrt bist du nicht am richtigen Ort.
Hinweis: Narzissmus bezieht sich hier nicht auf eine psychiatrische Diagnose oder Persönlichkeitsstörung, sondern auf Narzissmus als Persönlichkeitsstil. Narzissmus ist keine Krankheit. Narzissten leiden nicht unter ihrem Persönlichkeitsstil. Sie sind jederzeit zurechnungsfähig und damit für ihr Handeln verantwortlich.